Praxis für Psychosomatische Medizin
Psychotherapie - Psychoanalyse


Dr. med. Bernhard Palmowski, Berlin

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Ärztliche Psychotherapie (2007) 2:157-160

Ärztliche Psychotherapie und Psychosomatische Medizin

© Schattauer 2007

Aspekte der Pharmakotherapie depressiver Syndrome
in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie


Bernhard Palmowski

Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin
und Ärztliche Psychotherapie (DGPM)
Landesverband Berlin/Brandenburg

 

"Doktor, ich habe eine Depression." Mit dieser Klage kommen heute Patienten nicht selten in die Praxis. Auf deutsch heißt das in der Regel "Doktor, mir geht’s schlecht." Statt dieser einfachen und offenen Worte wird der behandelnde Arzt mit einem diagnostischen Terminus konfrontiert, der nahelegt, es sei alles klar. Das täuscht jedoch in den meisten Fällen. Überwiegend leiden die Patienten an einer Kombination verschiedener Symptome, bei der die depressiven Gefühle von Niedergeschlagenheit, Bedrücktheit, Interessenlosigkeit, Freudlosigkeit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit lediglich ein Element darstellen.

 

Worunter leidet der Patient?

Schepank hat in seiner Studie zur Epidemiologie psychogener Erkrankungen die Häufigkeit psychogener Symptome untersucht 1). An erster Stelle leiden Patienten unter allgemeiner innerer Unruhe (s. Abb. 1). Depressive Verstimmungen folgen in einer Liste von zehn Beschwerden auf Rang drei. Im Gegensatz zu den gängigen Vokabeln wie "Depression" oder "Angst" werden die selbst- und leibnahen Empfindungen von Ruhelosigkeit und Anspannung jedoch oft nicht spontan mitgeteilt, sondern müssen aktiv erfragt werden. Dies ist für eine verantwortungsvolle Diagnostik und Therapie unerläßlich.

Auch das pathogene Gefüge sollte einer genaueren Betrachtung unterzogen werden, da bei Angst, Zwang, Schlafstörungen und beispielsweise Kopfschmerzen oft eine quälende innere Unruhe und hoher intrapsychischer Druck bestehen. Nicht selten ist es so, daß eine primäre diffuse, ungerichtete Erregtheit, wenn sie mit dem Erleben von Ohnmacht und Hilflosigkeit verbunden ist, den Patienten sekundär in die depressive Verzweiflung treibt.

Eine sorgfältige explorative Abklärung der Beschwerden des Patienten ist die Voraussetzung für hilfreiches medizinischen Handeln und stellt die Grundlage für eine unterstützende Medikamentenverordnung dar. Erstes Ziel ist die symptomatische Linderung für die Patienten.

 

Abb. 1

 

Überlegungen zur Spezifität antidepressiver Wirkung

Jegliche Entlastung von Leid wirkt antidepressiv. Wir verfügen in der Medizin über eine Vielzahl nicht-stofflicher und stofflicher Anwendungen, die depressiven Gefühlen von Niedergeschlagenheit, Bedrücktheit, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Freudlosigkeit und Interessenlosigkeit entgegenwirken.

Die Wirksamkeit von Psychotherapie ist gut belegt. Im Hinblick auf Medikamente gilt das in unterschiedlichem Maß für die Substanzgruppen Amphetamine, Barbiturate, Benzodiazepine, trizyklische Antidepressiva, selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer 2, 3) und Johanniskrautextrakte. Bei Schmerzen können Analgetika zur Stimmungsaufhellung beitragen. Unter den nicht-stofflichen Anwendungen zeigen mäßige körperliche Belastung und, belegt durch eine neue britische Publikation 4), Spaziergänge im Grünen eine ähnliche Effektstärke. Genannt werden muß hier ebenfalls der nachweislich mächtige Effekt von Placebos 5).

Es ist somit nicht verwunderlich, daß einige Autoren die Frage aufwerfen, inwiefern es eine spezifische antidepressive Wirkung bei generalisert ansetzenden Agentien überhaupt gibt. Die euphorisierenden Eigenschaften von Substanzen wie beispielsweise Kokain oder Morphin müssen hier klar unterschieden werden. Fraglich erscheint die Spezifität antidepressiver Eigenschaften von Antidepressiva möglicherweise auch im Hinblick auf zwei pharmakologische Probleme. Erstens folgt die antidepressive Wirkung von Antidepressiva keiner Dosis-Wirkungsrelation. Dies ist für eine spezifische Medikamentenwirkung ungewöhnlich. Darüberhinaus tritt der stimmungsaufhellende Effekt erst mit erheblicher Latenz nach Wochen ein und nicht mit dem Beginn der pharmakologischen Substanzwirkungen. Es stellt sich somit die Frage, ob die nach Wochen eintretende antidepressive Entlastung bei Antidepressiva möglicherweise mit dem Rückgang von unerwünschten Arzneimittelwirkungen durch die dann einsetzende Habituation zu erklären wäre. Dies wäre auch damit kompatibel, daß ab diesem Zeitpunkt mit Absetzsymptomen zu rechen ist 6).

Von dieser, erst nach Wochen eintretenden antidepressiven Wirkung ist jedoch die antidepressive, ad hoc wirksame und pharmakologisch plausible Entlastung der Patienten durch Sedierung oder besseren Schlaf zu unterscheiden. Die innere Erleichterung von Unruhe, Druck und Anspannung, Ängstlichkeit sowie quälender Schlaflosigkeit hat einen starken antidepressiven Effekt und kann die Leidenssituation von Patienten entscheidend verbessern.

In der Regel kommen Patienten nicht mit monosymptomatischen Krankheitsbildern, sondern mit Symptomkombinationen, deren sorgfältige Differenzierung am Anfang jeglicher medizinischer Intervention stehen sollte.

 

Depression bei innerer Unruhe, Druck und Anspannung

In der täglichen Patientenversorgung leidet die weitaus größte Population unter einer Kombination von einerseits Niedergeschlagenheit, Bedrücktheit, Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit sowie andererseits innerer Unruhe, Druck und Anspannung. Häufig teilen diese Patienten auf Nachfrage mit, daß insbesondere die innere Unruhe unerträglich quälend für sie sei. Hier kann ärztlicherseits durch vorsichtige Sedierung eine deutlich spürbare Linderung erreicht werden. Mittel der ersten Wahl ist Amitriptylin (alternativ Doxepin). Diese Substanz verfügt nach über vierzig Jahren breitester Anwendung über eine außerordentlich hohe Pharmakosicherheit, ist preisgünstig (Budget!) und in Dosierungen unter 75mg/d sehr gut verträglich. Darüberhinaus besitzt Amitritpylin eine hohe therapeutische Breite.

Im Hinblick auf exzitatorisch wirksame Substanzen, das heißt Stoffe mit diffuser Antriebssteigerung ist bei der genannten Symptomkombination hingegen besondere Vorsicht geboten. Hier wäre bei wirksamer Dosierung bis zum Eintritt der Habituation mit einer zum Teil erheblichen iatrogenen Verschlechterung bis hin zur Suizidalität zu rechnen. Während depressiv verzweifelte Menschen auf Grund ihrer Niedergeschlagenheit nicht in der Lage sind, andrängende aggressive Fantasien und Impulse in die Tat umzusetzen, kann eine weitere Erhöhung des intrapsychischen Drucks die Handlungsbereitschaft kritisch steigern und zur Katastrophe führen ("Desperado"). Im anglo-amerikanischen Schrifttum sind im Zusammenhang mit SSRI-Antidepressiva zahlreiche Fälle von zum Teil erschreckenden selbst- und fremdgerichteten Gewalthandlungen beschrieben 7, 8, 9) .

Die bei abendlicher Einnahme schlaffördernde und den folgenden Tag über noch leichte beruhigende Wirkung von Amitritpylin hingegen wird von vielen Patienten dieses Formenkreises als spürbare symptomatische Entlastung mit deutlicher Stimmungsaufhellung erlebt.

 

Depression bei Angst

Angstsyndrome sowohl generalisierter wie auch paroxysmaler Natur gehen mit einer ausgeprägten sympatho-adrenergen Aktivierung einher. Zusätzlich agitierend wirkende Substanzen, die zu weiterer Steigerung des psycho-vegetativen Binnendruckes führen, sind hier also mit Zurückhaltung zu Betrachten. Neben einer Zunahme von innerer Unruhe, Anspannung, und Gereiztheit sind somatische Nebenwirkungen von SSRI wie Blutdrucksteigerungen und Arrythmieinduktion bekannt. Das ist insofern bedenklich, als Patienten mit Angstsymptomatik auf Grund der hohen sympatho-adrenergen Stimulation nicht selten unter einer arteriellen Hypertonie oder Rythmusstörungen leiden. Wie die Ereignisse um die Cox2-Hemmer ("Viaroxx") gezeigt haben, ist es sicherlich nicht unangebracht, auch das mögliche koronare Risiko zu bedenken. Anxiolytisch und sedierend wirkende Pharmaka wie Amitriptylin oder Doxepin wären hier unter differentialtherapeutischen Gesichtspunkten von Vorteil.

Bei paroxysmaler Angstsymptomatik haben unverändert Benzodiazepine (Diazepam, Oxazepam) ihren Platz, ebenso wie Betablocker (Metoprolol) bei überwiegend somatischer Prägnanz des Krankheitsbildes

 

Depression bei generalisierter Apathie und Adynamie

"Ich bin so antriebslos." Diese Klage von Patienten verleitet den Arzt oft zu der Annahme, es läge eine generalisierte Antriebsminderung vor. Die eingehendere Klärung ergibt jedoch bei solchen Patienten häufig, daß lediglich punktuelle, aufgabenbezogene Motivationsstörungen vorliegen, während diese Patienten ansonsten eher unter hohem intrapsychischem Druck stehen und in anderen Bereichen bisweilen sogar überaktiv sind ("Tiger im Käfig"). Die eingehende Differenzierung einer generalisierten Antriebsminderung von einer punktuellen Antriebsstörung ist somit unabdingbar.

Darüberhinaus ist zu berücksichtigen, daß beim Vorliegen einer generalisierten Antriebsschwäche und Leistungsminderung zunächst zwingend eine somatische Ursache (z. B. Anämie, Hepatitis, Malignom, chronische Infektion, Endokrinopathie etc.) ausgeschlossen werden muß. Weiterhin stellt sich in diesen Fällen nicht selten die Differentialdiagnose eines psychotischen Prozesses.

Bei gesicherter generalisierter Antriebsminderung mit psychosozialer Ätiologie ist die Verordnung eines antriebssteigernden Medikamentes in Erwägung zu ziehen. Neben dem altbewährten und preisgünstigen Imipramin wäre hier Citalopram zu nennen, das zur Gruppe der SSRI-Antidepressiva gehört und im Hinblick auf Pharmakokinetik sowie Wirtschaftlichkeit innerhalb dieser Wirkstoffgruppe Vorteile hat.

 

Depression bei Schmerzen

Zahlreiche Patienten in der Psychosomatischen Medizin leiden unter der Symptomkombination von Bedrücktheit, Verzweiflung und verschiedenen Formen von Schmerz, wobei am häufigsten über Kopfschmerzen und Rückenschmerzen geklagt wird. Darüberhinaus bestehen bei vielen Kranken Arthralgien, Myalgien und Ansatztendopathien. Der gesamte Bereich der Fibromyalgie gehört hierher. Amitritpylin in angemessener Dosierung hat in der Schmerztherapie bei der Behandlung dieser Patientenpopulation einen festen Platz und ist das Medikament der ersten Wahl.

 

Abb. 2

 

Praktisches Vorgehen

Der therapeutische Erfolg hängt nicht nur von der Wahl des günstigsten Arzneimittels ab, sondern auch von der richtigen Dosis. Hier ist zu beachten, daß sich die Dosierungen in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie von denjenigen unterscheiden, die in der Psychiatrie gebräuchlich sind. Erkrankungen mit psychosozialer Ätiologie erfordern andere Behandlungswege und -ziele. Sinnvoll ist eine vorsichtige schrittweise Aufdosierung mit Blick auf das jeweilige definierte Zielsymptom der medikamentösen Intervention.

In der Therapie depressiver Unruhe- und Anspannungssymtpome kann bei Patienten mit einem Körpergewicht von unter 70 kg mit 10 mg Amitriptylin abends begonnen werden, wobei je nach Wirkung in dreitägigen Intervallen in 10 mg-Schritten gesteigert werden kann. Über 70 kg kann mit 25mg begonnen werden (s. Abb. 3). Analog wäre zu verfahren bei Kombination von Depression und Angst sowie Depression und Schmerz.

 

Abb. 3

 

Im Falle einer generalisierten Apathie sollte die Behandlung mit Citalopram bei einer vorsichtigen Dosis von 10 mg begonnen werden. Außer bei gesicherter Hypersomnie sollte Citalopram immer morgens eingenommen werden, da es auf Grund seiner agitierenden Wirkung außerordentlich häufig Schlafstörungen verursacht. Die Dosissteigerung kann ebenfalls in 3-Tagesintervallen in 10 mg Schritten erfolgen (s. Abb. 4).

 

Abb. 4

 

Beim Absetzen einer antidepressiven Medikation ist wegen der komplexen Adaptations- und Habitationsprozesse dringend ein behutsames und schrittweises Vorgehen anzuraten. Empfehlenswert ist eine langsame Reduktion von 25 % der Ausgangsdosis pro Woche.

Arzneimittel sind unverzichtbarer Bestandteil ärztlichen Handelns. In der Psychosomatischen Medizin sind sie fest eingebettet in die von der somatischen und psychotherapeutischen Doppelkompetenz des Arztes getragenen Behandlung des Patienten. Sie können die hochkomplexen psychotherapeutischen Prozesse nicht ersetzen, sondern dienen im wesentlichen der ergänzenden Unterstützung. Medikamente sind hierbei gleichwohl integraler und im Einzelfall unentbehrlicher Bestandteil einer verantwortungsvollen psychosomatisch-medizinischen Patientenversorgung.

 

Literatur

1. Schepank H: Psychogene Erkrankungen der Stadtbevölkerung - eine epidemiologische Studie in Mannheim. Springer, Heidelberg, New York, London, Paris, Tokyo 1987

2. Antonuccio DO, Burns DD, Danton WG: Antidepressants: A Triumph of Marketing Over Science? Prevention & Treatment, 5: 25, 2002

3. Charles Medawar C, Hardon A, Herxheimer A: Depressing research. The Lancet 363: 1335, 2004

4. Paecock J, Hine R, Pretty J: The mental health benefits of green exercise activities and green care. Mind (National Association for Mental Health), 2007

5. Kirsch I, Moore TJ: The Emperor’s New Drugs: An Analysis of Antidepressant Medication Submitted to the U.S. Food and Drug Administration. Prevention & Treatment 5: 23, 2002

6. Valenstein ES: Blaming the Brain: The Truth about Drugs and Mental Health. Free Press, New York 2002

7. Whittington C, Kendall T, Fonagy P, et al.: Selective serotonin reuptake inhibitors in childhood depression: systematic review of published versus unpublished data. The Lancet 363: 1341-1345, 2004

8. Breggin P: The Anti-Depressant Fact Book. Da Capo Press, Cambridge 2001

9. Healy D, Herxheimer A, Menkes DB: Antidepressants and Violence: Problems at the Interface of Medicine and Law. PLoS Med 3(9): e372. 2006

 

 

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