Praxis für Psychosomatische Medizin
Psychotherapie - Psychoanalyse


Dr. med. Bernhard Palmowski, Berlin

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Ärztliche Psychotherapie (2011) 6:147-148

Ärztliche Psychotherapie und Psychosomatische Medizin

© Schattauer 2011

Buchbesprechung:

Die biografische Anamnese unter tiefenpsychologischem Aspekt
von Annemarie Dührssen

B. Palmowski


Der Klassiker ist endlich wieder da! Nachdem die letzte Auflage dieses in der Ärzteschaft überaus beliebten und fachlich unverzichtbaren Standardwerkes komplett vergriffen war, ließ sich auch in den Tiefen der Internetantiquariate kein einziges Exemplar mehr auftreiben. Dem Schattauerverlag gebühren Dank und Anerkennung für die jetzt vorgelegte, rundum gelungene Neuauflage.

Dührssen, langjährige Leiterin des Instituts für psychogene Erkrankungen der AOK Berlin und erste Inhaberin des Lehrstuhls für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Freien Universität Berlin, begründet in ihrem Werk die zentrale Bedeutung der biografischen Anamnese für jegliche psychotherapeutische Patientenbehandlung. Von profunden Kenntnissen und soliden Erfahrungen getragen, verweist sie auf die unerlässliche Beherrschung des biografischen Handwerkszeugs.

Die angemessene Behandlung psychisch/psychosomatisch Kranker, die in Deutschland mit seinem international beispielhaft hohen Versorgungsniveau in der Psychotherapie dank Dührssen und den von ihr durchgeführten empirischen Studien auch im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung möglich ist, erfordert eine hochqualifizierte vorgeschaltete Diagnostik. Dementsprechend verlangt die Genehmigung einer antragspflichtigen Psychotherapie eine schlüssige Darstellung des komplexen Verhältnisses von Ätiologie, Psychodynamik, Indikation und Prognose. Dührssen spricht vom "verstehenden Ordnen" des durch den Patienten mitgeteilten vielfältigen Materials.

Wer das sinnlose Aneinanderreihen von lebensgeschichtlichen Details, den Rückgriff auf abgehobene theoretische Floskeln und das Übersehen wichtiger, aber vom Patienten nicht spontan mitgeteilter Inhalte vermeiden will, benötigt eine angemessene und robuste fachliche Erkenntnisstruktur. Diese findet der Leser in Dührssens Buch, dessen großer Vorteil der lebendige Bezug zur Alltagspraxis ist. Von der differenzierten Erfassung der ersten Kontaktaufnahme mit dem Patienten führt uns der Text über das Verständnis  der gegenwärtige Konflikte („aktuelle Versuchungs-/Versagens-Situation“) durch alle entscheidenden Lebensbereiche, die es bei der Erhebung einer biografischen Anamnese durchleuchten gilt: persönliche Bindungen, Liebesbeziehungen und Familienleben, Herkunftsfamilie samt ihrer ödipalen Ausprägung, Drei-Generationen-Perspektive, Berufsprobleme, Arbeitsstörungen und Lernschwierigkeiten, Besitzerleben und -verhalten sowie den umgebenden soziokulturellen Raum. Die jeweiligen Schwerpunkte sind mit nützlichen Kasuistiken illustriert. Außerordentlich hilfreich sind im abschließenden Teil des Buches Vorschläge zur Anordnung und Interpretation der Befunde sowie eine beispielhaft abgefasste Anamnese.

In faszinierender Weise eröffnet die Autorin Wege zum Verständnis der komplexen Verflechtungen von äußerer und innerer Welt, harten Fakten und subjektivem Erleben, offenkundigen Bestrebungen und verborgenen Motiven, drängenden Wünschen und quälender Widersprüchlichkeit. So sehr Dührssen den Leser auch durch ihre spürbare breite und tiefe ärztliche Erfahrung einnimmt, so sehr besticht der Text durch seine klare und menschliche Sprache. Das Buch ist für einen weiten Leserkreis von Gewinn: Studenten der Medizin und Sozialwissenschaften, Assistenzärzte in Weiterbildung, Haus- und Fachärzte, Psychologen und Pädagogen.

Betrachten wir das Kennenlernen und Verstehen eines Patienten wie die Erkundung eines neuen, fremden Kontinents, dann gibt uns Dührssen mit der „Biografischen Anamnese“ so etwas wie Landkarte und Reiseführer in die Hand. Wir finden hier eine  wertvolle Orientierung in dem immer wieder neuen, spannenden Abenteuer der Begegnung mit unseren Patienten.  

Dr. med. Bernhard Palmowski, Berlin